Kolumne No 9
Kolumne über Respekt –Versuch eines Nachtrages zum Arge Alp 2012
Dass manche Schweizerinnen das Gebilde Europäische Union (EU) nicht kennen...wurde mir spätestens am ARGE ALP 2012 wieder einmal vor Augen geführt. Wie könnten sie auch ein förderalistisches System, wo die wohlhabenderen Gebiete den ärmeren finanziell unter die Arme greifen (Stichwort Subventionen und Finanzausgleiche) verstehen? Das hat ja überhaupt nichts mit unserer Schweiz zu tun...
Darum fällt es besagten Schweizerinnen wohl auch so schwer den Sinn des Arge ALP zu begreifen. Denn diese Arbeitsgemeinschaft der „Alpenländer“ ist ja im weitesten Sinne nichts anderes als eine Mini-EU, wo auf politischer Ebene grenzüberschreitende Erleichterungen für Wirtschaft, Bildung, Sprachlandschaft, Grenzkontrollen... iniziiert wurden. Mit der Bildung der EU sind dann auch viele dieser ursprünglich für alle Beteiligten wichtigen Vorteile obsolet geworden. Dies erklärt wohl auch das Austreten der Länder Baden-Würtemberg und Lombardei und dem "Beinahe-Sterben" der ARGE-ALP-Sportspiele. Doch zum Glück sahen die übrig gebliebenen neun „Länder“ –um den allgemeinen Begriff für Kanton, Provinz, Land zu verwenden- noch einen Sinn im kulturellen Austausch und retteten unter der Führung der St.Galler-Flagge den ARGE ALP-OL. Und so dürfen wir privilegierten Alpenländer uns Jahr für Jahr an einem Wochenende im Oktober treffen, um dem zu frönen, was wir am liebsten tun: OL!
Wobei die beiden Wettkämpfe doch wohl eher Mittel zum Zweck sein sollten... Ein Anlass nämlich, um sich zu treffen und miteinander zu sprechen. Nicht nur der Austausch mit den Kolleginnen der andern Länder, sondern auch innerhalb unseres Kantons sollte uns wichtig sein. Und eben dafür sollten wir die Wartezeit vor und nach der Rangverkündigung nutzen. Im einfachsten Fall teilt sich jeder in seiner Muttersprache mit. Oder man versucht es mal auf deutsch und ein paar Brocken auf italienisch,... und mit ein wenig Rotwein (für die über 16-jährigen!) geht es mit dem italienischen auch schon fast wie geschmiert. Spätestens am Arge Alp verstehe ich sogar die Bündner Sprachpolitik mit der Einführung des Frühitalienischen.
Peinlich wird es erst, wenn einige Delegationen während der logischerweise mehrheitlich auf italienisch gehaltenen Reden an der Rangverkündigung mehr anderes zu reden hatten. Auch wenn unsereins nicht jedes Wort des blinden Tessiner Regierungsrates Manuele Bertoli über den Sinn des kulturellen Austausches mittels Sport verstanden hatte, gebührt der Respekt vor dem extra angereisten Redner doch, dass ich mein Plapperpaul für sieben Minuten halten kann.
Respekt vor dem Redner, aber auch Respekt vor dem Organisator ist leicht gesagt, aber nicht in allen Köpfen drin. Zumindest wir erwachsenen Orientierungsläufer sind uns der Problematik der unterschiedlichen Interessen von Jägern, Förstern, Naturschützern, privaten Landbesitzern und OL-Läufern bezüglich unserer Laufgebiete wohl bewusst. Wenn ein Lauforganisator also in einem alpinen Gelände Sperrgebiete ausscheidet, hat dies einen höheren Sinn. Und für alle die dies bis zum ARGE ALP 2012 noch nicht begriffen haben: Ein Sperrgebiet ist dazu da, dass kein Läufer durchrennt und somit die schützenswerten Moore noch lange erhalten bleiben! Wer dies nicht respektiert, wie einige Läufer am Samstag in Piansegno, zeigt keinen Respekt gegenüber dem Veranstalter (der langwierige Gespräche mit den Naturschützern, der Gemeinde geführt hat) und schadet unserem Sport. Die nachträglich im Sumpf gut sichtbaren „Fusstäppi“ verhindern dann die nächste Bewilligung für einem OL in diesem schönen Laufgebiet. Und einmal mehr werden wir uns über einen der unsäglichen Stadt-Sprint quälen dürfen...
Ich selbst erwischte bei meinem Lauf am Samstag einen H-14-Läufer der St. Galler Delegation beim offensichtlichen Durchqueren eines Sperrgebietes entlang eines Bachlaufes. Nachdem ich dem fehlbaren Jungen dies von der andern Bachseite zugerufen hatte, meinte er: „Ich hans nid extra gmacht“. Im Ziel konfrontierte ich den St. Galler-Delegationsleiter mit ebendieser Tatsache und bat um eine Selbstanzeige der betreffenden Staffel. Stunden später stand die besagte H14-Staffel auf dem Podest und der Laufleiter Stefano Castelli sagte konsterniert, dass beim Gespräch mit den St.-Gallern alles abgestritten worden sei. Da meine ich nur: Che schemo!
Und einmal mehr hat man es verpasst, bereits den Jungen den Sinn eines Sperrgebietes begreiflich zu machen. Wer dann noch die Frechheit hat, dem Veranstalter den Vorwurf zu machen, er hätte halt das Sperrgebiet abstecken müssen, dem/der
a) fehlt es wohl an der Fähigkeit präzise Kartenzulesen,
b) hat noch nie mit wenig personeller Ressourcen selbst ein OL organisiert oder
c) fehlt es ganz einfach an Respekt gegenüber der Natur, den Organisatoren, den Bauern, dem Sport,....
Aber zurück zu meinem EU-Problem: Die ARGE-ALP-Sportspiele im OL als Möglichkeit sich in Respekt gegenüber dem Schwächeren zu üben. Es zeigte sich auch dieses Wochenende, dass einige Schweizerinnen die Medaillenvergabe am ARGE ALP noch nicht begriffen haben. Deshalb ein Versuch dies zu erklären: Am ARGE ALP läuft man für sein Land. Da die Länder unterschiedlich gross (Bayern: 70'000 km2), Tessin (2800 km2) und ausserdem orientierungsläuferisch unterschiedlich entwickelt sind, versucht man die ungleichen Stärkeverhältnisse ganz einfach auszuhebeln. Jedes Land kann in einer Kategorie nur eine Medaille gewinnen. Einfach gesagt, dieses System sollte verhindern, dass immer die grössten Delegationen siegen. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt allerdings auch, dass eine gewisse Grösse der Delegation zum Erreichen eines Podestplatzes in der Gesamtwertung schon von Nöten sind. Leider sind einige Schweizerinnen dermassen „giggerig“ auf Medaillen, dass sie dieses System auch nach Jahrzehnten als unfair taxieren.
Wer diese Änderung des Bewusstseins „ich laufe nicht für mich als Individuum, sondern für mein Land“ nicht vollziehen kann, der hat den Sinn der ARGE ALP-Sportspiele oder den Respekt gegenüber unserer Nachbarn wahrlich nicht begriffen!
Gabriela Diethelm